Die Schule ist nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft

Arno Fischedick, Meik Bruns, Anja Karliczek MdB, Marie-Theres Kastner, Arne Mathias, Heinrich Schäpers, Ulrich Martin (PhilV NRW). (v.l.n.r.)

„Unsere Schulen sind am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Das liegt auch daran, dass es seit Jahren zu wenig pädagogisches Personal gibt!“, brachte Marie-Theres Kastner, Diözesanvorsitzende der Katholischen Elternschaft im Bistum Münster (KED) kurz und knapp das Ergebnis der Klausurtagung des Verbandes auf den Punkt. Zuvor hatte sich der Verbandsvorstand intensiv mit den Ergebnissen eine Forsa-Befragung im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung und dem Grundschulgutachten befasst.

Allein an den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen sind nach Aussage des NRW-Schulministeriums 8.000 Lehrerstellen nicht besetzt. Mehr Seiteneinsteiger, weniger Klassenarbeiten und rigorosere Abordnungen sind angedacht um den Lehrermangel im bevölkerungsreichsten Bundesland zu lindern. „Unsere Ressourcen – auch die ökonomischen - sitzen in den Köpfen unserer Kinder und Jugendlichen“, sagt Kastner zu Beginn der Klausurtagung des KED-Vorstands. Sie nahm damit einen entscheidenden Satz aus der sogenannten Ruckrede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog von vor 25 Jahren wieder auf. „Rohstoffe haben wir nicht. Unser Kapital sind unserer Kinder. Das muss endlich allen, die an die Zukunft unseres Landes denken, klar sein. “ Deshalb müsse der öffentliche Druck steigen, um Deutschland wieder voranzubringen. „Zeit ist reif, dass wir uns auf die Hinterbeine stellen und in gute Schulen investieren.“
Eine Studie habe kürzlich ergeben, dass immer mehr Grundschulkinder in NRW Probleme in Mathematik und Deutsch haben. Im Fünf-Jahres-Vergleich sind die Viertklässler in ihren Kompetenzen in diesen Hauptfächern sogar deutlich zurückgefallen. „Das fängt bei der Lesekompetenz an. Wer nicht richtig lesen kann, hat auch bei der Erarbeitung weiterer Lernstoffe erhebliche Schwierigkeiten. Und was in den Grundschulen nicht zu Grunde gelegt wird, kann auch nicht aufgeholt werden. Das eine betrifft die Kinder selbst. Sie können auf vielen Gebieten nicht weiterkommen. Das andere ist aber die Auswirkung auf unsere Gesellschaft, auf unsere Wirtschaft und Wissenschaft. Schlechte Schüler sind den Ansprüchen des heutigen Arbeitsmarktes nicht gewappnet, und die Wirtschaft und Wissenschaft bekommen so viel zu wenig Input“, bringt es Kastner auf den Punkt. „Wir müssen die Grundlagen des Lernens für die Kinder wieder in den Mittelpunkt stellen“, ist sich der KED-Vorstand Münster einig. 

Gleichzeitig seien in den letzten Jahren die Kernaufgaben der Schulen verlorengegangen. Die Schulen bekommen neben der Vermittlung des Lernstoffes immer mehr gesellschaftliche Aufgaben zugeschustert. „Die Schule wird zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft“, beklagt Kastner. „Wir tragen alle gesellschaftlichen Probleme in die Schule, und wundern uns, dass Schule nicht mehr funktioniert. Und keiner mehr Lehrer werden will.“

Diese These unterstrich ganz dezidiert Ulrich Martin, stellvertretender Landesvorsitzender des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes, der als Gast zur Klausurtagung eingeladen worden war. Lehrer würden viel zu viel nach allen Seiten kämpfen müssen. Der Beruf des Lehrers sei auf der Scala der anerkannten Berufe nicht an vorderer Stelle zu finden. Dazu hätte seit vielen Jahren auch die Politik beigetragen. Die Folgen seien im Alltag deutlich sichtbar, wenn man beobachte, wie wenig Respekt heute Lehrerinnen und Lehrern entgegengebracht werde. Dagegen müssten unbedingt Maßnahmen ergriffen werden. Darüber hinaus sei die Entwicklung, alle gesellschaftlichen Probleme in die Schule zu tragen, ein Riesenproblem. Lehrer würden ihre jeweiligen Fächer studieren und dann lernen, zu unterrichten. Mit dieser Ausbildung seien sie nicht automatisch Fachleute für Digitalisierung, Drogenkunde oder gar perfekte Jugendsozialarbeiter. In nichtschulischen Einrichtungen hole man sich für neue Themen und Aufgaben Fachleute ins Haus oder lasse sich beraten. In der Schule müssten das alles die Lehrerinnen und Lehrer machen – denn für solche zusätzlichen Dienste sei kein Geld da. Hier müsse sich etwas grundlegend ändern, so der Fachmann des Philologenverbandes. Sein Verband sehe daher nur in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen den Schlüssel zur Lösung des Problems, zur Gewinnung von mehr Lehrkräften.

Der zweite Gast der Tagung, die ehemalige Bundesministerin Anja Karliczek, forderte in der Schulpolitik auch einen Bruch mit dem Trend, möglichst viele machen ein Abitur. Sie brach eine Lanze für den Wert eines jeden Schulabschlusses. „Jeder Bildungsabschluss verdient Respekt. Es ist fatal, dass nur das Abitur das Maß aller Dinge zu sein scheint.“ Ein Akademisierungswahn habe Deutschland erfasst. „Das Verständnis dafür, was praktische Arbeit wert ist, fehlt. Das Handwerk wird überhaupt nicht mehr geschätzt“, beklagt die ehemalige Bundesbildungsministerin. „Die Aussage: ´Ich habe „nur“ einen Realschulabschluss` ist schrecklich. Diese Entwicklung sie sie in der Vergangenheit, in der akademische Berufe mit höherem Ansehen und höherem Gehalt gleichgesetzt wurden. „Das hat sich im Laufe der Zeit geändert.“ Der Spruch: „Handwerk hat goldenen Boden“ müsse dem Akademisierungswahn entgegengestellt werden.