Interview zur KED-Studie - Diözesanvorsitzende Kastner im Gespräch mit Kirche+Leben

Die Angst geht um – sie schlägt auf Seele und Gesundheit: Eine jüngst veröffentlichte Studie im Auftrag der Katholischen Elternschaft Deutschlands (KED) belegt mit Zahlen, was der durch die Corona-Pandemie erzwungene Digital- und Distanzunterricht bei Schülerinnen und Schülern angerichtet hat.

55 Prozent der antwortenden Jugendlichen fürchten, den pandemiebedingten Lern-Rückstand nicht aufholen zu können: 13 Prozent sind „sicher“, das nicht zu schaffen, weitere 42 Prozent haben zumindest Zweifel. Und das hat körperliche und seelische Folgen.

Kinder vereinsamen in Distanzunterricht

„Die Kinder und Jugendlichen reagieren gereizt, antriebslos, traurig, mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Nervosität“, zitiert Marie-Theres Kastner, Vorsitzende des KED-Bundesverbands und der KED im Bistum Münster, im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ aus den Ergebnissen. „Kinder vereinsamen im Distanzunterricht, einige verstummen sogar – zum Beispiel Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, wo vielleicht nicht regelmäßig Deutsch gesprochen wird.“

Zwar ist die KED-Studie nicht repräsentativ. Es haben aber mehr als 10.000 Menschen den Fragebogen im Internet beantwortet: 5.733 Eltern, 3.976 Jugendliche, vorwiegend in Klasse 8 und älter, und 564 Lehrkräfte.

Sorge um bildungsferne Familien

Kastner räumt auch ein, viele Teilnehmer zählten eher zu mittleren und gehobenen Gesellschaftsschichten: Die meisten Antworten kommen von katholischen Schulen. „Das sind in Nordrhein-Westfalen viele Gymnasien, in Bayern im Vergleich mehr Realschulen als in NRW – aber insgesamt überwiegend weiterführende Schulen.“

Das schmälert die Aussagekraft laut Kastner aber nicht – im Gegenteil, findet sie: „Wenn unsere Zahlen schon so dramatisch sind, wie mögen sie dann erst bei eher bildungsfernen Familien oder in sozialen Brennpunkten aussehen?“

„Das Kindeswohl war gefährdet“

„Während Corona blieb die Bildungsgerechtigkeit auf der Strecke“, konstatiert die KED-Vorsitzende: „In nicht wenigen Fällen war dadurch geradezu das Kindeswohl gefährdet.“ Familien seien in der Pandemie im Dauerstress gewesen: „Viele Kinder spüren die Unsicherheit und Sorge der Eltern. Viele Eltern geraten an persönliche Grenzen, wenn sie ihren Kindern beim Unterricht daheim nicht helfen können.“

Das war auch deshalb ein Problem, weil Schülerinnen und Schüler im langen zweiten Lockdown zunehmend Lerninhalte selbst erarbeiten mussten. 63 Prozent gaben an, das habe sie „teilweise überfordert“ – eine weitere Quelle von Frust und Angst. Und – zur Erinnerung: In der KED-Studie antworten vor allem Gymnasiasten und Realschüler.

Pandemie-Hilfen für Schüler

Die Befragung richtet den Blick nicht auf die Themen „Wie klappt’s denn mit dem Lernen und der Technik?“, sondern auf die Frage „Wie geht es euch mit Digital- und Distanzunterricht?“ Ergebnis: Nicht gut – auch wenn sich im Lockdown ab November 2020 die technische Ausstattung und die Qualität digitalen Lernens im Vergleich zu März / April 2020 verbessert haben. Auch das geben die Zahlen der Studie her.

Und jetzt? Sieht Kastner die Politik in der Pflicht: „Pandemie-Hilfen für die Wirtschaft sind wichtig. Aber auch Familien, Schülerinnen und Schülern muss geholfen werden.“ Ob das klappt, da hat sie Zweifel.

Psychische und soziale Corona-Folgen abmilden

Die KED-Vorsitzende empört sich zum Beispiel, dass Familienpolitik nach dem Rücktritt von Ministerin Franziska Giffey (SPD) bis zur Bundestagswahl von Parteikollegin Christine Lambrecht mit übernommen wird: „Die Justizministerin… Wenn es wenigstens die Bildungsministerin wäre.“ Aber die gehört der CDU an.

Kastner mahnt, Schülerinnen und Schüler nicht nur Stoff aufholen zu lassen: „Schule ist nicht nur Mathelernen.“ Es komme auch darauf an, psychische und soziale Corona-Folgen abzumildern: „Es geht um Kontakte zu Mitschülern, um Bewegung. Wir würden uns auch wünschen, dass Schulsozialarbeit und Schulseelsorge ausgebaut werden.“

Wie kirchliche Jugendarbeit helfen kann

Zudem könne die Jugendarbeit in Pfarreien und Verbänden helfen, findet Kastner. Nicht nur mit den lang vermissten sozialen Kontakten: „Da begegnen sich doch auch Freunde, und ältere Schüler können Jüngeren helfen, die Defizite haben.“ Damit die Zukunfts- und Perspektivängste, die die KED-Studie belegt, vielleicht aufgefangen werden.


Text: Jens Joest, Kirche+Leben
Foto: unsplash.com @wocintechchat.com
18.06.2021