Offener Brief an Bildungsministerin: „Schule ist systemrelevant“

Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung | Foto: © Bundesregierung/Guido Bergmann

In einem offenen Brief an Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, bringt Marie-Theres Kastner, Diözesanvorsitzende der Katholischen Elternschaft im Bistum Münster (KED) und gleichzeitig auch Bundesversitzende ihre Besorgnis angesichts der Ergebnisse des neuen IQB-Bildungstrends zum Ausdruck. Laut Bildungstrend haben sich die Kompetenzen der Viertklässler in den Fächern Deutsch und Mathematik haben sich im vergangenen Jahr im Vergleich zu vorangegangenen Untersuchungen 2011 und 2016 deutlich verschlechtert.

„Die Katholische Elternschaft Deutschlands e.V. (KED) hat mit großer Sorge die IQB-Bildungsstudie zur Kenntnis genommen. Die Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen haben bei den Grundschulkindern deutlich nachgelassen. Das ist ein seit Jahren fortschreitender Prozess. Schule ist systemrelevant: Es ist dringend geboten, in die jungen Menschen passgenau zu investieren. Versäumen wir dieses, schaden wir der Zukunft unserer Gesellschaft. Vielleicht wäre es an der Zeit auch ein „Sondervermögen Bildung“ aufzulegen.

Fragt man nach Gründen, so wird man fundiert sagen können: Die Maßnahmen, mit denen dem Mangel bisher begegnet wurde, sind unzureichend und teilweise problematisch:   Lehrerinnen und Lehrern, die für das Gymnasium ausgebildet wurden, fehlt die spezielle Pädagogik für die jüngeren Kinder; Pädagogen, die eigentlich ihren Ruhestand angetreten haben, können nur zeitlich begrenzt weiterhin eingesetzt werden; im Ausland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern werden hohe Nachqualifizierungen oder bürokratische Hürden auferlegt; Zusätzliches pädagogisches Personal wird nur selten eingesetzt und dann auch nur in ausgewiesenen problematischen Stadtteilen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich auch die Ausgangsvoraussetzungen am Beginn der Schullaufbahn geändert haben: Viele Kinder kommen bereits mit weniger Fertigkeiten und geringerem Sprachvermögen in die erste Klasse, weil es auch in den Kindertageseinrichtungen an Personal und Sprachförderung fehlt.

In der IQB-Studie wurde darüber hinaus deutlich, dass Kinder aus benachteiligten Familien besonders häufig betroffen sind. Das kann uns als Gesellschaft nicht ruhen lassen.

Zwei Umfragen der KED 2020 und 2021 (hauptsächlich an kath. Schulen in Ganz-Deutschland) mit jeweils mehr als 10.000 Antwortenden zeigten deutlich die Einschränkungen der Chancengerechtigkeit durch die Corona-Krise. Diese Situation hat vor allem den frisch in die Schule kommenden Schülerinnen und Schülern geschadet.  Nun aber kommen durch den Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Klimakrise und die mit der allgemeinen Teuerung verbundenen finanziellen Sorgen der Familien viele existenzielle Bedrohungen hinzu, die zu immer mehr psychischen Belastungen der jungen Menschen führen. Diese müssen – auch in den Schulen - bewältigt werden. Die dort tätigen Personen stellen sich dieser Aufgabe mit bewundernswertem Engagement. Sie benötigen aber dringend mehr Unterstützung.

Wir bitten deshalb dringend darum, zügig Gegenmaßnahmen einzuleiten; dazu müssen Bund und Länder mehr als sonst zusammenarbeiten. Was hilft eine Digitalisierungsinitiative, wenn sie nicht auch mit dem notwendigen Personal unterstützt wird. In der Pädagogik hilft der Bindungsfaktor bekanntlich mehr als irgendwelche Hardware.

Einige dieser Maßnahmen könnten sein:

  • Zusätzliche Sozialarbeiter/innen, Erzieher/innen und Psycholog/innen
  • Mehr Personal bei den Ganztagsangeboten und fortlaufende Qualifizierung dieser Kräfte
  • Mehr Zusammenarbeit mit außerschulischen Organisationen
  • Ausbau aller Grundschulen zu Familienzentren, Vernetzung mit den sozialen Diensten
  • Mehr Lehrkräfte für den Grundschulbereich, damit die Klassen kleiner werden können und individuelle Förderung möglich wird
  • Intensive Schulung der Lehrkräfte, die nicht für die Grundschule ausgebildet sind
  • Eine großangelegte Initiative für den Lehrerberuf und intensivere Begleitung während des Studiums (Stärkung der Praktika und mehr Unterstützung durch Patenschaften während des Referendariats)“